Trunkenheitsfahrt im Ausland rechtfertig MPU in Deutschland

Im Zusammenhang mit § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV genügen grundsätzlich auch im
Ausland begangene und festgestellte Zuwiderhandlungen für die Beibringung eines medizinisch-psychologisches Gutachten (MPU).

Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ist ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder
mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt worden ist.
Hiervon ist vorliegend auszugehen, wobei das normative Nebeneinander eines auf die
Blutalkoholkonzentration und eines auf die Atemalkoholkonzentration bezogenen
Grenzwertes die Ausführungen des Klägers zu der seiner Ansicht nach fehlenden
Konvertierbarkeit einer Atemalkoholkonzentration in eine Blutalkoholkonzentration
gegenstandslos macht. Der Normgeber ist demnach – keine Bedenken hervorrufend – der
Auffassung gewesen, dass jedenfalls für die Anordnung von Gefahrerforschungseingriffen
auch das Erreichen eines bestimmten Atemalkoholwertes ausreicht.

Erforderlich ist aber, dass diese Auslandstaten hinreichend, d. h. wie bei einer Inlandstat, nachgewiesen sind.

Es gilt im Fahrerlaubnisrecht wie allgemein im Ordnungsrecht, dass bereits die
hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadens für die öffentliche Sicherheit und
Ordnung eine zum Tätigwerden der Ordnungsbehörde berechtigende und gegebenenfalls
verpflichtende Gefahr begründet (Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1974; Az. I C 31.72).

Dies vorausgeschickt reicht es zur Annahme eines den Anforderungen des § 13 Satz 1 Nr.
2 Buchst. c FeV genügenden Gefahrenverdachts nicht aus, dass der Kläger in Polen
wegen einer Trunkenheitsfahrt mit einer Atemalkoholkonzentration von 1,03 mg/l
rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt worden ist. Vielmehr ist dem Kläger im Grundsatz
zuzustimmen, dass die zum Teil noch erheblichen Unterschiede in den Rechtsordnungen
der einzelnen Staaten der Europäischen Union, die sich nicht nur auf das materielle
Straßenverkehrsrecht bzw. die damit zusammenhängenden Straf- oder
Ordnungswidrigkeitenbestimmungen, sondern auch auf Regelungen und Gepflogenheiten
im vorgelagerten Ermittlungsverfahren beziehen, einem unbesehenen Rückgriff auf das
bloße Ergebnis eines ausländischen Straf- oder Bußgeldverfahrens entgegenstehen.

Vielmehr ist zu fordern, dass die aus dem betreffenden europäischen Staat stammenden
Erkenntnisse einen hinreichend gesicherten Schluss auf das Überschreiten einer nach
inländischem Recht bestehenden Eingriffsschwelle zulassen. Vorliegend ist der Senat
jedenfalls auf der Grundlage der ergänzend eingeholten polizeilichen Auskunft davon
überzeugt, dass die Beklagte unter den gegebenen Umständen berechtigt war,
weitergehende und gegebenenfalls auch eine Mitwirkung des Betroffenen einschließende
Ermittlungen anzustellen; denn es ist von einer Trunkenheitsfahrt des Klägers mit einer
Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr auszugehen.
Zunächst bestehen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass bei der Polizeikontrolle in
Polen am 4. März 2013 ein ungeeignetes Mess- und Analysegerät eingesetzt worden ist.
Aus der dienstlichen Notiz des Offizieranwärters N. L. von der X. der Polizei
H1. X. geht hervor, dass die Atemalkoholmessung mit dem Gerät Alco-Sensor IV
vorgenommen worden ist. Ausgehend von den beigefügten Angaben der in
Q. ansässigen Firma U. International S. T1. u. W. G. , Offene
Gesellschaft – Kalibrierlabor für Atemalkoholtestgeräte – zeichnet sich dieser Gerätetyp
durch eine geringe Messunsicherheit aus; diese wird bezogen auf die Referenzwerte 0,1
bzw. 0,25 mg/l mit 0,01 mg/l angegeben, was sich im Übrigen auch aus
Internetveröffentlichungen mit hinlänglicher Gewissheit ersehen lässt.

Vgl. http://www.alcopro.com/product/alco-sensor- iv/

Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass sich bei Referenzwerten von mehr als 0,25
mg/l – anders als bei dem niedrigeren Referenzwert von 0,1 mg/l im Vergleich zum Referenzwert 0,25 mg/l – die Messunsicherheit proportional zum Referenzwert erhöht, würde es sich bei Größenordnungen wie im vorliegenden Fall doch nur um eine
Abweichung von wenigen – etwa vier – Prozentpunkten handeln, wobei überdies davon
auszugehen ist, dass Abweichungen in beide Richtungen möglich sind.
Die von der Beklagten angeführten Erkenntnisse über die Anwendung dieses Gerätes in
anderen Staaten (USA, Kanada, Großbritannien), denen der Kläger nicht
entgegengetreten ist, gehen auch aus den Produktinformationen der Herstellerfirma
Intoximeters Inc. aus St. Louis/Missouri (USA) hervor.
Vgl. http://www.intox.com/p-559-alco-sensor- iv.aspx
Schließlich erweist sich unter Berücksichtigung des Kalibrierungszertifikats der Firma
U. vom 22. Januar 2013, dass das zum Einsatz gekommene Atemalkoholmessgerät
an jenem Tag, also nur rund sechs Wochen vor der anlassgebenden Alkoholfahrt des
Klägers, kalibriert worden ist. Es hat sich im Übrigen auch nicht um ein Altgerät
gehandelt; als Anschaffungsjahr wird in dem Kalibrierungszertifikat das Jahr 2011
genannt.
Auch die nähere Durchführung der Atemalkoholmessung, das heißt insbesondere die
Vornahme von mehr als nur einer Einzelmessung und die Einhaltung von Wartezeiten vor
und zwischen den Messungen, ruft keine ernsthaften Zweifel daran hervor, dass die
hierzulande anerkannten Standards für die Gewinnung eines möglichst realitätsnahen
Messergebnisses im Wesentlichen auch bei der Messung beim Kläger in Polen beachtet
worden sind.
Vgl. zum Ganzen etwa das Gutachten des Bundesgesundheitsamtes über die
Beweissicherheit der Atemalkoholanalyse, herausgegeben von der Bundesanstalt für
Straßenwesen, 1992, S. 10, 12 f., 17 und 21; BGH, Beschluss vom 3. April 2001, Az. 4 StR
507/00.

Der bereits genannte Polizist N. L. hat in seinem Bericht vom 4. März 2013
festgehalten, dass beim Kläger drei Atemalkoholmessungen in größeren zeitlichen
Abständen stattgefunden haben, und zwar um 1.56 Uhr, um 2.11 Uhr und um 2.31 Uhr.
Selbst wenn zugunsten des Klägers davon ausgegangen wird, dass die erste Messung
wenige Minuten nach dem Angehaltenwerden erfolgt ist und er noch unmittelbar davor,
das Ergebnis der ersten Messung möglicherweise verfälschend, geraucht bzw. Bier
getrunken hat, liegen gleichwohl zwei weitere Messungen vor, die hinsichtlich der
Wartezeiten bzw. des zeitlichen Abstandes voneinander auf ein insgesamt
ordnungsgemäßes Messverfahren schließen lassen.
Berücksichtigt man weiter, dass der festgestellte Wert von 1,03 mg/l den in § 13 Satz 1
Nr. 2 Buchst. c FeV genannten Grenzwert von 0,8 mg/l deutlich übersteigt, ist am
Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung einer medizinisch-psychologischen
Untersuchung selbst dann nicht zu zweifeln, wenn eine größere Sicherheitsmarge
veranschlagt würde als diejenige, die der theoretischen Messungenauigkeit des
verwendeten Analysegerätes entspricht, oder wenn doch – kleinere – Fehler des
Messverfahrens vorlägen.
Zur Unbeachtlichkeit von Fehlern im Messverfahren im – strengeren –
Ordnungswidrigkeitenrecht bei deutlichem Überschreiten des Gefahrengrenzwertes vgl.
OLG Hamm, Beschluss vom 15. Oktober 2009, Az. 2 Ss OWi 737/09; OLG Stuttgart, Beschluss vom 2. Juli 2010, Az. 4 Ss 369/10; Saarl. OLG, Beschluss vom 2. April 2013, Az. Ss (B) 133/12 (101/12 OWi).
Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner weiteren Aufklärung durch einen
Sachverständigen.
Es bedarf auch keines näheren Eingehens auf die vom Kläger vorgetragenen Umstände
der Polizeikontrolle vom 3./4. März 2013, aus denen er etwa eine mangelhafte Belehrung
über Beschuldigtenrechte herleitet. Soweit dieses Vorbringen nicht ohnehin mit der in der konkreten Situation kaum zu überwindenden Sprachbarriere zusammengehangen hat, wären aus eventuellen Verstößen gegen Beschuldigtenrechte keine Konsequenzen für das
vorliegende Verfahren zu ziehen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Senats,
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. September 2013, Az. 16 B 976/13, können die strafverfahrensrechtlichen Maßstäbe über die Rechtsfolgen von Mängeln der Beweiserhebung nicht ohne weiteres auf das ordnungsrechtliche Fahrerlaubnisverfahren
übertragen werden, da dieses andere Zielsetzungen verfolgt und anderen
Verfahrensbestimmungen unterliegt. Soweit – wie im Fahrerlaubnisrecht – ein
ausdrückliches Beweisverwertungsverbot nicht besteht, ist vielmehr im Einzelfall
zwischen dem Integritätsinteresse des von dem Eingriff betroffenen Grundrechtsträgers
und dem Gewicht der sonst zu beachtenden Belange abzuwägen. Diese Abwägung fällt
im Fahrerlaubnisrecht in aller Regel – und so auch vorliegend – zu Lasten des jeweiligen
Fahrerlaubnisinhabers aus. Während nämlich Beweisverwertungsverbote im vorrangig
repressiven Zwecken dienenden Strafprozess dem Spannungsverhältnis zwischen dem
staatlichen Strafverfolgungsanspruch einerseits und dem Grundrechtsschutz des
Betroffenen andererseits Rechnung tragen, sind im rein präventiven, auf keine
Bestrafung gerichteten Fahrerlaubnisverfahren mit erheblichem Gewicht auch
Rechtsgüter einer unbestimmten Zahl Dritter, namentlich Leben und Gesundheit anderer
Verkehrsteilnehmer, zu beachten. Mit dem Schutz der Allgemeinheit vor ungeeigneten
Fahrerlaubnisinhabern wäre es nicht zu vereinbaren, wenn die Fahrerlaubnisbehörden an
der Berücksichtigung (eventuell) strafprozessual fehlerhaft gewonnener Erkenntnisse
allgemein gehindert wären bzw. wegen eines außerhalb ihres Verantwortungsbereichs
begangenen Verfahrensfehlers sehenden Auges die gravierenden Gefahren hinzunehmen
hätten, die mit der Verkehrsteilnahme eines derzeit kraftfahrungeeigneten
Fahrerlaubnisinhabers verbunden sind.

Ob bei dem Kläger eine zum Ausschluss der Fahreignung führende Alkoholproblematik
vorliegt, ist mangels ausreichender Feststellungen offen. Gleichwohl kann die
Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Klägers
schließen, weil er ein von ihr gefordertes Fahreignungsgutachten nicht fristgerecht
beigebracht hat.

OVG NRW Oktober, 2016

 

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