Sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis bei einer einzelnen Fahrt unter Cannabiseinfluss ab THC-Wert von 1,0 ng/ml im Blut

Leitsatz des Gerichts:
Die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen in Verbindung mit einer einzelnen Fahrt unter
Cannabiseinfluss ab einem THC-Wert von 1,0 ng/ml im Blutserum.
Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46
Abs. 1 Satz 1 FeV. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis u.a. dann zu entzie-
hen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Als ungeeignet
zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist sich nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 und
Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV insbesondere, wer gelegentlich Cannabis einnimmt
und Konsum und Fahren nicht trennt.
Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass ab einem THC-Wert von 1,0 ng/ml davon aus-
zugehen ist, dass der Betroffene nicht zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen ei-
nes Kraftfahrzeugs trennen kann (BVerwG, Beschl. v. 23.10.2014, Az. 3 C 3.13;
BVerfG, Beschl. v. 21.12.2004, Az. 1 BvR 2652/03; OVG Schles-
wig, Beschl. v. 22.12.2014, Az. 2 O 19/14 ; OVG Schleswig, Beschl.
v. 23.01.2017, Az. 4 MB 2/17 -; VGH Kassel, Beschl. v. 17.08.2017, Az. 2 B 1213/17).
Die Empfehlung der Grenzwertkommission für die Konzentration von THC im Blutserum zur
Feststellung des Trennungsvermögens von Cannabiskonsum und Fahren (abgedruckt in: Blut-
alkohol Vol. 52/2015, S. 322 – 323), erst bei Feststellung einer THC-Konzentration von 3,0 ng/
ml oder mehr im Blutserum bei gelegentlich Cannabis konsumierenden Personen eine Tren-
nung von Konsum und Fahren im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV zu verneinen, bietet
keinen Anlass zu einer Heraufsetzung des Grenzwerts (OVG Schleswig, Beschl. v. 08.09.2016,
Az. 3 MB 36/16 – unter Bezugnahme auf VGH München, Beschl. v. 23.05.2016, Az. 11 CS 16.690;
OVG Münster, Urt. v. 15.03.2017, Az. 16 A 432/16 -; VG Schleswig, Beschl. v.
21.03.2017, Az. 3 B 24/17).
Das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 23.10.2014, Az. 3 C 3.13) hat entschie-
den, dass die Frage, auf welchen THC-Wert abzustellen ist, auf mehrere Unterfragen führt. Die
Frage nach dem Gefährdungsmaßstab, das heißt die Frage, wie wahrscheinlich die Beeinträch-
tigung der Fahrtüchtigkeit durch die Einnahme von Cannabis sein muss, ist danach eine der re-
visionsgerichtlichen Überprüfung in vollem Umfang zugängliche Rechtsfrage. Dagegen ist die
Frage nach dem maßgeblichen Grenzwert, das heißt die Frage, bei welchem THC-Wert von ver-
kehrssicherheitsrelevanten Beeinträchtigungen im Sinne des Gefährdungsmaßstabs auszuge-
hen ist oder – anknüpfend an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – solche Be-
einträchtigungen jedenfalls nicht ausgeschlossen werden können, keine Rechtsfrage, sondern
im Wesentlichen tatsächlicher, nämlich medizinisch-toxikologischer Natur und gegebenenfalls
mit einem Sachverständigengutachten zum aktuellen naturwissenschaftlichen Erkenntnisstand
zu klären (BVerwG, a.a.O.). Die Rechtsfrage nach dem Gefährdungsmaßstab hat
das Bundesverwaltungsgericht dahin entschieden, dass die Möglichkeit einer cannabisbeding-
ten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit ausgeschlossen sein muss. Die Grenze eines hinnehm-
baren Cannabiskonsums ist nicht erst dann überschritten, wenn mit Gewissheit eine Beeinträch-
tigung der Fahrtüchtigkeit anzunehmen ist oder es zu einer signifikanten Erhöhung des Unfallri-
sikos kommt, sondern bereits dann, wenn die Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchti-
gung der Fahrsicherheit besteht (BVerwG, a.a.O.).
Es entspricht weiterhin dem Stand der Wissenschaft, dass bereits bei einem THC-Wert von 1,0
ng/ml die Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit besteht. Das
Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München ist in der Untersuchung
„Unfälle und reale Gefährdung des Straßenverkehrs und der Cannabis-Wirkung“ (abgedruckt in:
Blutalkohol Vol. 43/2006, S. 441 – 450) in ausdrücklicher Abgrenzung zur Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 21.12.2004, Az. 1 BvR 2652/03, Grenz-
wert 1,0 ng/ml) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Beschl. v. 25.01.2006, Az. 11 CS
05.1711, Grenzwert 2,0 ng/ml) zu dem Ergebnis gekommen, dass eine abstrakte Gefährdung sogar
bei einem Wert von weniger als 1,0 ng/ml besteht. Die Grenzwertkommission hat noch 2007
(abgedruckt in: Blutalkohol Vol. 44/2007, S. 311) einstimmig einen
Grenzwert von 1,0 ng/ml Serum empfohlen. Die abweichende Empfehlung aus dem Jahr 2015
beruht nicht auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Möglichkeit einer cannabisbeding-
ten Beeinträchtigung, sondern auf der Zugrundelegung eines von der Rechtsprechung abwei-
chenden Gefährdungsmaßstabs. Die Bestimmung des Gefährdungsmaßstabs ist aber nicht Auf-
gabe der Wissenschaft, sondern der Gerichte. Die Empfehlung (abgedruckt in Blutalkohol Vol.
52/2015, S. 322 f.) beruht ausdrücklich darauf, dass sich eine Leistungseinbuße in experimen-

tellen Studien frühestens ab 2 ng/ml Serum nachweisen lasse, weil nur dann davon auszugehen
sei, dass der letzte Konsum innerhalb weniger Stunden vor der Blutentnahme stattgefunden ha-
be. Wissenschaftliche Untersuchungen unter Einbeziehung chronischer Cannabiskonsumenten
hätten gezeigt, dass erhöhte THC-Konzentrationen im Serum auch noch einige Tage nach dem
letzten Konsum feststellbar sein könnten, also zu einem Zeitpunkt, an dem sicher keine akute
Beeinflussung der Leistungsfähigkeit mehr vorliege, weil sich bei chronischem Konsum THC im
Körper der Teilnehmer anreichere und über viele Tage hinweg langsam an das Blut abgegeben
werde mit der Folge, dass bei diesem Konsumentenkollektiv ein zeitnaher Konsum nicht sicher
belegt werden könne. Dass die Grenzwertkommission eine cannabisbedingte Beeinträchtigung
der Fahrsicherheit bei 1,0 ng/ml aber selbst weiterhin für möglich hält, folgt daraus, dass eine
Neubewertung des analytischen Grenzwertes von THC (1,0 ng/ml) gemäß der Empfehlung der
Grenzwertkommission zur Anlage des § 24a Abs. 2 StVG ausdrücklich als nicht veranlasst ange-
sehen wird. Die Annahme einer Ordnungswidrigkeit im Sinne von § 24a Abs. 2 StVG beim Füh-
ren eines Kraftfahrzeugs mit 1,0 ng/ml THC im Blutserum setzt aber die Möglichkeit einer can-
nabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit gerade voraus.
Diese Auslegung der Empfehlung der Grenzwertkommission wird bestätigt durch Ausführun-
gen von Mitgliedern der Grenzwertkommission im Jahre 2016 zur Frage „Stand der wissen-
schaftlichen Erkenntnisse zur Feststellung einer mangelhaften Trennung von Cannabiskonsum
und Fahren anhand der Konzentration von THC im Blutserum“ (abgedruckt in: Blutalkohol Vol.
53/2016, S. 409 – 314). Dort heißt es ausdrücklich, dass aus wissenschaftlicher Sicht eine Kon-
zentration von 1,0 ng THC pro ml Serum (ausgehend von 0,5 ng THC/ml Serum inklusive eines
Zuschlags von 100 % für die Messunsicherheit) als Grenzwert zu begründen sei, ab dem eine
Cannabisbeeinträchtigung nicht ausgeschlossen werden könne. Zusammenfassend wird ausge-
führt, dass ab einer Konzentration des Cannabiswirkstoffes Tetrahydrocannabinol (THC) von 1,0
ng/ml im Blutserum das Vorliegen verkehrsmedizinisch relevanter Leistungsdefizite nicht ausge-
schlossen werden könne; daher gelte ab diesem Wert der objektive Tatbestand des § 24a Abs. 2
StVG als erfüllt. In Abhängigkeit von der Konsumfrequenz könne es aber sein, dass eine derar-
tige Konzentration auf einen Konsum zurückgehe, der mehr als 24 Stunden vor der Fahrt statt-
gefunden habe. Da in diesem Fall sicher keine relevante Cannabiswirkung mehr vorliege, seien
THC-Konzentrationen, die nur wenig oberhalb von 1,0 ng/ml im Blutserum lägen, nicht als Be-
weis für eine mangelnde Trennung von Konsum und Fahren anzusehen und ein Direktentzug
der Fahrerlaubnis erscheine nicht ohne Weiteres gerechtfertigt. Die Verfasser hielten es aber
für geboten, an den Nachweis der Fahrungeeignetheit infolge Cannabiskonsums alleine auf der
Grundlage einer THC-Blutserumkonzentration den Anspruch zu stellen, dass ein Grenzwert die
Fahrungeeignetheit jenseits vernünftiger Zweifel beweise. Deshalb habe die Grenzwertkommis-
sion vorgeschlagen, erst ab einer Blutserumkonzentration an THC von 3,0 ng/ml regelmäßig da-
von auszugehen, dass Konsum und Fahren nicht ausreichend getrennt werden könne, was die
Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bedinge.
Darüber hinaus hat der Vorsitzende der Grenzwertkommission im Rahmen seiner gutachterli-
chen Vernehmung vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen auf Nachfrage des Gerichts ein-
geräumt, dass unter Zugrundelegung des Gefährdungsmaßstabs des Bundesverwaltungsge-
richts auch nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft nicht ausgeschlossen werden könne,
dass ab einem THC-Wert von 1,0 ng/ml im Blutserum die Möglichkeit einer Beeinträchtigung be-
stehe (VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 25.02.2016, Az. 7 L 30/16).
Nach alledem führen die Überlegungen der Grenzwertkommission auf der Grundlage des Ge-
fährdungsmaßstabs des Bundesverwaltungsgerichts nicht zu einer Erhöhung des Grenzwerts.
Gleiches gilt für die Empfehlung des Arbeitskreises V Cannabiskonsum und Fahreignung des 56.
Deutschen Verkehrsgerichtstags vom 24. bis 26. Januar 2018 in Goslar. Der Arbeitskreis ver-
tritt die Meinung, dass nicht bereits ab 1 ng/ml THC im Blutserum fehlendes Trennungsvermö-
gen unterstellt werden dürfe. Er teilt die Feststellungen der Grenzwertkommission, wonach dies
erst ab einem THC-Wert von 3 ng/ml Blutserum der Fall sei. Da die Empfehlung des Verkehrsge-
richtstags sich allein auf die Empfehlung der Grenzwertkommission bezieht und nicht auf neuen
wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der
Fahrsicherheit beruht, führt auch sie nicht zu einer Änderung des Grenzwertes.
Die Beschwerde führt auch nicht zum Erfolg, soweit der Antragsteller geltend macht, dass die
Bewertung von Cannabismissbrauch der Bewertung von Alkoholmissbrauch angepasst werden
sollte und sich insoweit auf einen Beschluss des VGH München (a) und den Abschlussbericht ei-
nes EU-Projekts (b) beruft.
Der VGH München sieht in seinem Beschluss vom 29. August 2016 (- 11 CS 16.1460 -, BayVBl
2017, 278) als offen und deshalb in einem Hauptsacheverfahren zu klären die Frage an, ob
bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten eine erstmalige Teilnahme am öffentlichen
Straßenverkehr mit einem Kraftfahrzeug unter Cannabiseinfluss mit einer THC-Konzentration
von 1 ng/ml oder mehr die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis nach § 11 Abs. 7 FeV ent-
ziehen muss oder ob entsprechend dem Vorgehen bei fahrerlaubnisrechtlichem Alkoholmiss-
brauch nur eine medizinisch-psychologische Untersuchung nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV ange-
ordnet werden kann. Inzwischen hat der VGH München in einem Hauptsacheverfahren entschie-
den, dass die Fahrerlaubnisbehörde bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten nach ei-
ner erstmaligen, als Ordnungswidrigkeit geahndeten Fahrt mit einem Kraftfahrzeug unter der
Wirkung von Cannabis grundsätzlich nicht gemäß § 11 Abs. 7 FeV ohne weitere Aufklärungs-
maßnahmen von der Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgehen darf (VGH Mün-
chen, Urt. v. 24.04.2017, Az. 11 BV 17.33). Dem folgt der Senat nicht (eben-
so OVG Koblenz, Beschl. v. 01.03.2018, Az. 10 B 10060/18; OVG Bautzen,
Beschl. v. 26.01.2018, Az. 3 B 384/17; OVG B-Stadt, Beschl. v. 07.04.2017
Az. 12 ME 49/17; VGH Mannheim, Beschl. v. 07.03.2017, Az. 10 S 328/17 ;
OVG Bremen, Urt. v. 30.04.2018, Az. 2 B 75/18). Angesichts
der unterschiedlichen Wirkungsweise von Alkohol und Cannabis unterscheiden die maßgebli-
chen Regelungen der Fahrerlaubnisverordnung eindeutig zwischen den Folgen von Alkohol- und
Cannabiskonsum. Während gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV eine ausreichende Trennung
nur dann anzunehmen ist, wenn der Betroffene Konsum und Fahren in jedem Fall in einer Wei-
se trennt, dass durch die vorangegangene Einnahme von Cannabis eine Beeinträchtigung sei-
ner verkehrsrelevanten Eigenschaften unter keinen Umständen eintreten kann, scheidet ein
fahrerlaubnisrechtlicher Alkoholmissbrauch nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV schon dann aus,
wenn eine hinreichend sichere Trennung von Konsum und Fahren vorgenommen wird (vgl. so
OVG Koblenz, Beschl. v. 01.03.2018, Az. 10 B 10060/18). Auch die Überle-
gung, dass bei einem solchen Verständnis die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV im Wesentli-
chen leer liefe, weil sich für sie kein sinnvoller Anwendungsbereich mehr finden ließe, überzeugt
nicht. Denn ein medizinisch-psychologisches Gutachten ist etwa dann anzufertigen, wenn auf-
grund der verstrichenen Zeit zwischen festgestelltem Konsum und beabsichtigtem Entzug der
Fahrerlaubnis ein so großer Zeitraum liegt, dass zweifelhaft ist, ob der Konsument seine Eig-
nung nicht zu diesem Zeitpunkt wiedererlangt hat (vgl. so OVG Bautzen, Beschl. v. 26.01.2018, Az.
3 B 384/17).
Im Abschlussbericht des EU-Projekts DRUID (Driving under the Influence of Drugs, Alcohol
and Medicines) wird ausgeführt, dass der Risiko-Grenzwert für THC entsprechend einer BAK von
0,5 bei 3,8 ng/ml im Serum festgelegt werden sollte plus einem zusätzlichen Wert für Messfeh-
ler und Konfidenzintervall (S. 107 des Abschlussberichts). Der Studie lag die Überlegung zugrun-
de, dass in den meisten europäischen Ländern alkoholbeeinträchtigtes Fahren bis zu einer BAK
von 0,5g/l toleriert wird. Das bedeute, so der Abschlussbericht, dass ein gewisses Risiko akzep-
tiert werde und dass dieser Ansatz, auch quantitativ, ebenso auf den Konsum illegaler Drogen
Anwendung finden sollte. „Risiko-Grenzwerte“ werden dabei definiert als Konzentrationen im
Blut, die ein gewisses Unfallrisiko oder Fahrbeeinträchtigung anzeigen (S. 104 des Abschluss-
berichts). Aus wissenschaftlicher Sicht sei es nur gerechtfertigt, dasselbe Risiko für alle psycho-
aktiven Substanzen einschließlich Alkohol zu akzeptieren (S. 105 des Abschlussberichts). Wie
schon oben zu den Empfehlungen der Grenzwertkommission ausgeführt, gilt auch hier, dass die
Studie einen eigenen Gefährdungsmaßstab angelegt hat, der von dem des Bundesverwaltungs-
gerichts abweicht. Es wird gerade nicht darauf abgestellt, ob bei einem THC-Wert von 3,8 ng/
ml die Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit ausgeschlossen
ist.
OVG Schleswig-Holstein, Juni 2018

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